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ePA „Bruch der ärztlichen Schweigepflicht“

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„Bruch der ärztlichen Schweigepflicht“

Dr. Andreas Meißner ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit eigener Praxis in München. Seit einigen Monaten ist er vor allem für viele Verbände und Initiativen ein gefragter Experte für die elektronische Patientenakte (ePA). In seinem Buch „Die elektronische Patientenakte – Das Ende der Schweigepflicht“ zeigt er die Risiken der ePA auf. Im änd-Interview erzählt Meißner, welche Gefahren er sieht, warum die ePA aus seiner Sicht die ärztliche Schweigepflicht bedroht und die
Kommunikation mit Patientinnen und Patienten verändern wird.

©Mirko Milanovic Dr. Andreas Meißner: „Bei der TI sehe ich vor allem den Zwang und die zentrale Datenspeicherung kritisch.“

Sie haben sich gegen den Anschluss an die TI entschieden und lehnen auch die ePA kategorisch ab. Sind Sie ein Digitalverweigerer?

Nein, das bin ich nicht. Sonst würde ich mich nicht in einer Videokonferenz mit Ihnen austauschen.Digitale Tools, die einen Mehrwert haben, sind hilfreich – beispielsweise bei der Quartalsabrechnung, die wir recht einfach am Ende des Quartals digital einreichen können. Aber ich bin TI-Verweigerer. Bei der TI sehe ich vor allem den Zwang und die zentrale Datenspeicherung kritisch. Ein Mehrwert aber ist auch nach fünf oder sechs Jahren Diskussionen über die TI immer noch nicht zu erkennen.

Sie haben sich durch Ihr Buch intensiv mit der ePA beschäftigt. Was ist Ihr Hauptkritikpunkt?

Der Bruch der Schweigepflicht. Der kommt durch den Zwang zum TI-Anschluss, die Opt-out-Lösung bei der ePA, die Befüllungspflicht für Praxen und Kliniken, die automatisierte Datenausleitung aus dem PVS in die ePA und die Weiterleitung von dort an das Forschungsdatenzentrum und den europäischen Datenraum. Und ich verstehe nicht, warum Apothekenmitarbeiter nach Einlesen der Karte drei Tage ePA-Einsicht haben. Dass sie jetzt inhaltliche Berichte vom Frauenarzt oder der Psychiaterin lesen können, ist völlig neu – und völlig überflüssig. All das war vor fünf oder sechs Jahren gar nicht absehbar, als viele Kollegen sich widerwillig an die TI angeschlossen haben, um den Honorarabzug zu vermeiden.

Was gibt es aus Ihrer Sicht noch an der ePA auszusetzen?

Der Mehraufwand ist ein weiterer Kritikpunkt. Dabei geht es nicht nur um die Technik, sondern vor allem auch um die Patientenaufklärungen und die Dokumentationen, die Zeit kosten. Hinzu kommen Kosten für die ePA in Milliardenhöhe, obwohl die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben ist. Es gibt zudem einen automatisierten Datenfluss, der wenig transparent ist. Außerdem sind viele Patienten automatisch ausgeschlossen, weil sie gar nicht über die neuesten Mobilgeräte verfügen oder sich das nicht leisten können. Rund zehn Prozent der Menschen nutzen kein Smartphone, viele sind damit überfordert.

Als Psychiater und Psychotherapeut haben Sie es mit besonders sensiblen Diagnosen in Ihrer Fachdisziplin zu tun. Welche Probleme sehen Sie für Ihre Patientinnen und Patienten mit der ePA?

In der Psychiatrie und Psychotherapie werden uns natürlich sehr sensible und intime Details anvertraut. Ich finde, die haben nichts in einer Cloud zu suchen – mag sie noch so gut gesichert sein. Wenn wir Berichte schreiben, werden die künftig womöglich weniger aussagekräftig sein, weil wir ja nicht wissen, wer sie wann und wo hochlädt. Das Thema beschäftigt uns schon länger. Ich habe gerade eine Patientin, bei der vor zehn Jahren von einer Tagesklinik die bipolare Störung, die sie hat,
im Abschlussbericht nicht erwähnt wurde, sondern nur eine depressive Störung. Sie hatte Sorge, dass sie vielleicht sonst bestimmte Versicherungen nicht abschließen kann. Das wird jetzt vermehrt passieren, wenn wir nicht wissen, wo die Daten überall landen. Da wird die Schere im Kopf größer. Es heißt ja, dass nur elektronische Unterlagen in die ePA hochgeladen werden müssen. Ich fürchte, es wird eine Renaissance der Papierakte geben. Und das wäre der Schuss nach hinten.

Wie reagieren Ihre Patientinnen und Patienten auf die ePA?

In unseren Praxen sind viele sehr verunsichert. Ich habe viele paranoide Patienten. Da verstärkt sich eher die Symptomatik, wenn man das anspricht, auch wenn wir das ganz nüchtern und sachlichvorbringen. Ich arbeite in einem besonders sensiblen Bereich, aber auch Schwangerschaftsabbrüche, sexuell übertragbare Infektionen oder auch schon Rückenprobleme in jungen Jahren möchte man vielleicht nicht unbedingt irgendwo zentral dokumentiert haben. Auch Minderjährige kriegen
automatisch eine ePA. Da ist rechtlich noch gar nicht geklärt, wie genau eine Einwilligungsfähigkeit beispielsweise bei Jugendlichen aussieht. Und wenn man dann noch die zum Teil komplizierten Sorgerechtsverhältnisse betrachtet, dann wird es besonders schwierig.

Wie viele Patientinnen und Patienten haben Sie in Ihrer Praxis schon überzeugt, der ePA zu widersprechen?

Ich spreche die Patienten nicht aktiv an, sondern reagiere auf Nachfragen, weil viele zurzeit die Informationen der Krankenkassen erhalten. Ich kläre dann – in der kurzen Zeit, die wir haben – über die Vor- und Nachteile auf, aber füge auch hinzu, dass ich die ePA gegenwärtig nicht empfehlen kann. Ich möchte die Patienten aber auch nicht vehement überzeugen. Das muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden. Die Patienten haben sich aber auch schon vorher nicht positiv zu ePA geäußert.
Als TI-Verweigerer können Sie die ePA sowieso nicht nutzen. Das ist richtig. Es wird sich zeigen, ob das irgendwann zu Problemen führt. Andererseits heißt es
immer, dass Patienten, die keine ePA haben, keine Nachteile erleiden sollen. Wo kein Anschluss ist, kann auch nichts automatisch ausgeleitet werden. Bislang gibt es keine zusätzlichen Sanktionen. Das bleibt hoffentlich so.

Sehen Sie keine Nachteile, wenn Sie nicht auf die Berichte und Befunde Ihrer Patienten zugreifen können?

Die Frage ist: Ist die Akte wirklich komplett? Haben die Hausärzte oder die Kliniken ihre Berichte eingestellt? Oft werden sie aus zeitlichen Gründen oder Überlastung gar nicht oder später erst geschrieben. Das Problem haben wir heute schon. Außerdem können Daten gelöscht und verborgen werden. Das sehe ich als Gefahr: Dass ich mich als Arzt auf die ePA als Akte verlasse und nicht mehr gründlich genug mit den Patienten spreche, die mir im Gespräch sicherlich mehr anvertrauen. Außerdem sind die Dateigrößen auf 25 Megabyte beschränkt, sodass keine Bilder hochgeladen werden können. Und es wird überwiegend PDF-Dokumente geben, bei denen keine Volltextsuche möglich sein wird. Eigentlich müssten wir Ärzte sogar noch Metadaten selbst eingeben, damit wenigstens nach bestimmten Schlagwörtern gesucht werden kann. Da sehe ich insgesamt wenig Aufwandsminderung, sondern nur mehr Aufwand.

Inwiefern sehen Sie die ärztliche Schweigepflicht durch die ePA bedroht?

Trotz Widerspruchsmöglichkeiten entsteht durch die ePA ein fast automatisierter Datenfluss, der intransparent wird. Wir wissen nicht, wer seitens Forschung oder Behörden auf die Daten zugreift. Auch die Pseudonymisierung ist nur ein schwacher Schutz. Ich sehe bei der ePA definitiv die ärztliche Schweigepflicht bedroht. Endgültig zerstört wird sie, wenn Herr Lauterbach davon fantasiert, mit KI in Zukunft Praxisgespräche aufzuzeichnen, in strukturierte Daten umzuwandeln und weiterzuleiten. Das zeigt einfach den Geist, der da herrscht – auch wenn es vielleicht dazu nicht kommen wird.

Bisher melden die Krankenkassen kaum Widerspruch bei der Einrichtung der elektronischen Patientenakte. Interessiert es die Bürgerinnen und Bürger nicht oder fehlt es an Informationen?

Beides. Aktuell ist aber auch noch nicht klar, wie viele Bürgerinnen und Bürger schon das Infoschreiben bekommen haben. Außerdem haben die Versicherten sechs Wochen Zeit zu widersprechen. Da kann noch etwas passieren. Aber solche Schreiben sind natürlich lästig und werden gerne zur Seite gelegt. Viele Menschen sind auch überfordert – beispielsweise Menschen mit begrenzten Deutschkenntnissen oder auch Ältere und Schwerkranke. Manche haben auch Angst davor, ohne ePA schlechter behandelt zu werden. Andere akzeptieren einfach bestimmte offizielle Vorgaben und hinterfragen sie gar nicht. Aber es gibt tatsächlich wenig Informationen zur ePA und auch keinerlei öffentliche Diskussionen. Die Krankenkassen informieren nur über die Vorteile, sie zeigen nicht die Nachteile auf, sodass Patienten sich keine eigene Meinung bilden können.

Manche Ärzteverbände und Initiativen haben eigene Aufklärungskampagnen ins Leben gerufen.

Ja, das finde ich gut. Es wurde unter anderem die Seite www.widerspruch-epa.de entwickelt, auf der sich jeder über die ePA informieren kann, aber auch mit wenigen Daten ein Widerspruchsschreiben online generieren kann.

Sie sind durch das Buch zu einem ePA-Experten in der Ärzteschaft geworden. Wie nutzen Sie Ihre Expertise für die Aufklärung?

Es häufen sich gerade Termine für Lesungen und Vorträge. Diese Veranstaltungen richten sich sowohl an Kollegen als auch an Bürger. Ich bin auch in etlichen Bündnissen und Verbänden als Experte beteiligt. Ich habe ja auch mein eigenes Bündnis für Datenschutz und Schweigepflicht, mit dem ich aktiv bin. Außerdem bin ich Mitglied der ePA-Taskforce von MEDI. Ich bin im engen Kontakt mit der Freien Ärzteschaft, dem Bayerischen Facharztverband, dem Deutschen Psychotherapeutennetzwerk, mit den Zahnärzten Bayerns, der IG Med, aber auch dem Verein für Patientenrechte und Datenschutz. Ich bin in diesen Verbänden und Vereinen kein Mitglied und möchte mich auch nicht vereinnahmen lassen, aber sehe mich als Experten von außen.

Wie nehmen Sie die Stimmung in der Ärzteschaft hinsichtlich der ePA auf? Treffen Sie auch auf Zustimmung oder eher auf Ablehnung?

Viele Kollegen, zu denen ich Kontakt habe und die in Verbänden organisiert sind, werden die ePA eher ignorieren – vor allem wegen der medizinischen Nutzlosigkeit, der technischen und bürokratischen Probleme und des Zeitaufwands. In meinem Qualitätszirkel mit zehn Psychiaterinnen und Psychiatern haben sich alle überwiegend widerwillig an die TI angeschlossen, um den Honorarabzug zu vermeiden. Aber mit der skizzierten Entwicklung bei der ePA ist jetzt für viele eine neue Dimension erreicht. Vereinzelt wird auch das Abstöpseln von der Telematik erwogen. Man hat wenig getan, um Vertrauen zu fördern. Die Motivation ist eher gering. Es gibt aber auch im privaten Umfeld Kollegen aus der Radiologie oder einen Kollegen aus der Kardiologie, der viel Herzkatheter-Untersuchungen durchführt, die der ePA etwas positiver gegenüberstehen, weil sie mit den Patienten auch nicht so viel im persönlichen Kontakt stehen.

Wie sieht aus Ihrer Sicht eine moderne, tragbare und effiziente Alternative zur ePA aus?

Die meisten Kollegen haben ja bereits eine elektronische Patientenakte in ihrem System. Das klappt wunderbar, obwohl ich zum Teil auch noch mit Papier arbeite. Einige Kollegen fordern digitale Fallakten, mit denen mehrere Ärzte arbeiten und auf die nur die Beteiligten zugreifen können. Das könnte bei komplexeren Krankheitsfällen interessant sein. Hilfreich und vertrauensfördernd wäre zudem, wenn Daten nicht automatisch abfließen würden. Man hätte aber zumindest längst sichere und verschlüsselte Verbindungen zwischen Kliniken, Praxen und den Patienten schaffen müssen – mit attraktiven Anreizen für die Nutzung. Dafür wäre keine milliardenteure Zusatztechnik nötig. Es gab ja mal KV-Connect und andere Dinge, die sich nicht durchgesetzt haben, aber man hat es auch nicht übermäßig propagiert. Es geht einfach nicht, dass wir immer noch Mails von Patienten erhalten mit anliegender Krankheitsgeschichte als PDF-Datei. Das ist wie eine Postkarte. Wir brauchen sichere Alternativen im digitalen Zeitalter, die versorgungsorientiert und nicht ökonomisch orientiert sind. Es gibt zudem wichtige Faktoren, die man bei der Einführung von Innovationen bedenken sollte. Wenn man die Ärzte nicht abholt, Vertrauen schafft und positive Anreize setzt, stattdessen aber mit Zwang
und komplexer Technik arbeitet, die vielen Kollegen Zeit und Geld kostet, dann schafft man keine Zustimmung.

27.10.2024, 06:53, Autor/-in: Tanja Reiners